Der Leitartikel der heutigen Ausgabe von Le Monde ruft klar dazu auf, entweder für Ségolène Royal oder für Nicolas Sarkozy zu stimmen. Es sei notwendig, dass sich nach dem ersten Wahlgang zwei grundsätzlich verschiedene Gesellschaftsprojekte gegenüberstünden, damit das Land im "zweiten Wahlgang eindeutig sagen kann, in welche Richtung es gehen will". Unter diesem Gesichtspunkt gebe es nur zwei Optionen: Sarkozy oder Royal. Vor allem gehe es auch darum, nicht noch einmal eine böse Überraschung wie bei der Wahl 2002 zu erleben. Damals kam bekanntlich der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen auch dank der Zersplitterung des linken Lagers in den zweiten Wahlgang.
Eine Reihe von Bloggern haben angekündigt, das Gesetz zur Bekanntgabe von Hochrechnungen der Wahlergebnisse zu umgehen. Eigentlich sind solche Veröffentlichungen erst ab 20 Uhr erlaubt. Im rechtsfreien Raum des Internets aber wollen zum Beispiel jean-marmorandini.com und birenbaum.blog.20minutes.fr Gerüchte zum Ergebnis der Wahl verbreiten, die in den Redaktionen der Zeitungen schon vor der offiziellen Bekanntgabe kursieren.
Bereits bei den letzen beiden Präsidentschaftswahlen wurden vorzeitig die Ergebnisse im Netz veröffentlicht, nie war aber der Einfluss der Blogger so groß wie jetzt.
Heute Abend halten die meisten Kandidaten ihre abschließenden Meetings. François Bayrou ist in seiner Heimatregion Aquitanien, Ségolène Royal in Toulouse und Nicolas Sarkozy in Marseille. Schon seit Anfang der Woche sind die Menschenmassen auf den Großveranstaltungen der Kandidaten immer beindruckender und enthusiastischer. Olivier Besancenot konnte gestern Abend mit 4000 Zuhörern einen neuen Rekord für ein Meeting seiner Partei Ligue communiste révolutionnaire aufstellen. Ebenfalls gestern Abend erreichte Bayrou mit 17000 Menschen bei einer Veranstaltung in Paris die höchste Besucherzahl der gesamten Kampagne.
Je nach Angaben wurde diese Zahl heute Abend von Royal übertrumpft. Die Kandidatin der PS konnte noch einmal namhafte Unterstützung verbuchen. Auf ihrem Meeting in Toulouse begleitete José Luis Zapatero, der spanische Premierminister. Ihm erscheine es wichtig, dass sich zum ersten Mal eine Frau anschicke, Präsidentin Frankreichs zu werden, sagte Zapatero. Gleichzeitig sprach er aber auch Sarkozy "Respekt und Bewunderung" aus und lobte die "wichtigen Beziehungen mit ihm als Innenminister und auch jetzt als Kandidat".
Zudem sind Royal 200 Intellektuelle zur Seite gesprungen, die in einer gemeinsamen Petition dazu auffordern, schon im ersten Wahlgang für die PS-Kandidatin zu stimmen. Damit mischen sich die Unterzeichner in die Debatte um die "vote utile" ein, in der über das Für und Wider einer Wahl aus Überzeugung und einer Wahl des geringeren Übels diskutiert wird. Vor einigen Wochen fanden sich hinter einer Aufsehen erregenden Initiative gleicher Art für Sarkozy auffällig viele traditionell linke Intellektuelle.
Der Kandidat der UMP rief heute zur Aktion "72 Stunden allgemeine Mobilisierung zur Wahl von Nicolas Sarkozy" auf. Bis Samstagabend sollen die UMP-Mitglieder und Wähler alles tun, um unentschiedene Wähler für ihren Liebling zu gewinnen.
Wie zu erwarten verschärft sich bei allen Kandidaten der Ton, Konkurrenten werden direkt und namentlich angegriffen. Bayrou nahm sich Sarkozy und den ehemaligen PS-Premier Lionel Jospin zur Brust: "Wenn mir Sarkozy vorwirft, links zu sein und Jospin, rechts zu sein, weiß ich, dass ich alles richtig mache."
Nicht alle Attacken sind aber so harmlos. Jean-Marie Le Pen sieht immer mehr seine Felle wegschwimmen, in vielen Umfragen liegt er bei 13 Prozent. Der Kandidat der Front national denkt, doch noch die Überraschung vom 21. April wiederholen zu können, indem er Sarkozy direkt angreift. Nachdem Le Pen letzteren schon als den "Kandidaten der Immigration" bezeichnete, glänzte er jetzt mit der Feststellung, nur einer von vier Großelternteilen Sarkozys sei Franzose gewesen. Der Vater des UMP-Kanidaten habe sich zudem erst in den 80er Jahren einbürgern lassen. Vor diesem Hintergrund "erfüllt Sarkozy nicht die ethischen Bedingungen einer Kandidatur", findet Le Pen. Dass auch im Französischen ein Buchstabe ausreicht, um aus "ethisch" "ethnisch" zu machen, dürfte Le Pen kaum stören.