François Bayrous Vorschlag eines direkten Duells zwischen den vier großen Kandidaten Jean-Marie Le Pen, Ségolène Royal, Nicolas Sarkozy und ihm selbst findet bei einem Großteil der Medien Anklang. Nachdem Sarkozy im Gegensatz zu den anderen Kandidaten eine solche Debatte abgelehnt hatte, unterzeichneten die Internetauftritte mehrer Zeitungen, wie Le Monde, Libération oder Les Echos, nicht jedoch der Sarkozy-freundliche Figaro, eine Petition, in der sie ein Aufeinandertreffen der vier aussichtsreichsten Kandidaten für kommenden Montag fordern. Das Duell soll direkt im Internet übertragen werden, da eine Übertragung im Fernsehen mit nur vier Kandidaten durch die Regeln der offiziellen Wahlkampfphase und die gewünschte Chancengleichheit nicht möglich ist.
Liest man sich die letzten Meldungen dieses Blocks durch, mag die Anzahl an Beiträgen über Sarkozy erstaunen. Das liegt ganz einfach daran, dass es der Kandidat der UMP wie kein Anderer versteht, medienwirksam aufzutreten. Man mag von Sarkozy halten was man will, seine Omnipräsenz ist beeindruckend, auch wenn sie nicht nur das Echo von konkreten Vorschlägen, sondern oft von Inszenierungen, Sticheleien und Provokationen ist.
Gestriges Ziel seiner Attacken war die Parti socialiste. Wie schon im Januar überraschte Sarkozy mit Verweisen auf Jean Jaurès, Gründer des kommunistischen Blattes L'Humanité und Léon Blum, Regierungschef der sozialistischen Front populaire von 1936 bis 1938. Ersteren zitierte er sage und schreibe elf Mal, um an die Adresse des akutellen PS-Chefs zu sagen: "Ich fühle mich als Erbe von Jaurès. Guten Tag, Herr Hollande." Die PS habe ihre Ikonen verraten, weil sie den "Wert Arbeit" verraten habe. "Ich bin kein Sozialist, aber was die Linke früher gemacht hat, möchte ich für meinen Teil auch tun", meinte Sarkozy und lobte die sozialen Errungenschaften linker Regierungen: "Arbeitsrecht, Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung."
Diesen Montag begann die offizielle Kampagne, während der in den öffentlich-rechtlichen Medien die Wahlkampfspots der zwölf Kandidaten ausgestrahlt werden (siehe auch Beitrag vom 9. April). Für den am politischen Geschehen Interessierten halten die ein- bis fünfminütigen Videos gewöhnlich keine Überraschungen bereit. Vielmehr sollen zu teilweise besten Sendezeiten vor allem diejenigen erreicht werden, die sich nicht unbedingt aktiv über die Kandidaten der Präsidentschaftswahlen und deren Programme informieren. Gerade für die kleineren Kandidaten ist dies also eine gute Plattform, sich einem breiten Publikum zu präsentieren.
Umso mehr enttäuscht die Qualität der ersten Serie der Spots. Gérard Schivardi zum Beispiel, wenn er Glück hat in Umfragen bei einem Prozent liegend, hat sich als Drehort für den Platz der Repubik in Paris entschieden. Zum Lärm einer der größten Verkehrsadern in Paris kommt noch Schivardis südlicher Akzent hinzu, so dass seine Ansprache fast unverständlich ist. Besonders sympathisch kommt er auch sonst nicht rüber: Die Kamera filmt aus einer angedeuteten Froschposition einen bedrohlich wirkenden, die Augen zusammenkneifenden Kandidaten.
Der andere große Unbekannte dieser Wahl, Frédéric Nihous, hat sich wie etwa auch José Bové für einen Spot in Interviewform entschieden. Auf die eher belanglosen Fragen antwortet der Kandidat der Jäger und Angler jedoch ausführlich und überzeugend. Vor einem idyllischen Waldhintergrund hinterlässt Nihous so einen souveränen Eindruck. Was man erstaunlicherweise noch nicht einmal von allen etablierten Kandidaten behaupten kann.
Ségolène Royal scheint sich vor der Kamera nicht sehr wohl zu fühlen. Mehrfach scheint sie hinter die Kamera auf einen Teleprompter zu linsen. Das Bild wechselt nur zwischen zwei etwas bizarr anmutenden Einstellungen, einem Porträt und einer halben Profilaufnahme, die Royal in die Bildmitte platziert. Royals Ansprache endet mit einem kraftlosen "Es lebe die Republik, es lebe Frankreich", das dem Pathos der Formel nicht gerecht wird.
Dieses Pathos findet man dafür umso mehr bei ihrem großen Rivalen Nicolas Sarkozy, der es auch bei den Kandidatenvideos versteht, sich von seinen Konkurrenten abzusetzen. Zu Beginn seines Clip wird das Wort "zusammen" eingeblendet, um den Kandidaten dann dutzendfach, mit dramatischer Musik unterlegt, beim Hände schütteln und bisous verteilen zu zeigen. Einer sehr knappen Ansprache folgt Sarkozys Slogan: "Zusammen kann alles möglich werden."
Eher unkonventionell präsentieren sich Olivier Besancenot und Marie-George Buffet. Ersterer beginnt sein Video mit Reggae-Klängen, um anschließend in einer Fabrik, die Hände in den Hosentaschen, einen Überblick über sein Programm zu geben. Buffets Beitrag erinnert an einen Werbespot. Die Kandidatin der Kommunistin beginnt ebenfalls mit Musik, auf ihre Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage folgt eine Frauenstimme, die sagt, dass die "einzige nützliche Stimme diejenige ist, die Ihren [des Wählers] Interessen Gewicht verleiht."
Dominique Voynet, die Kandidatin der Grünen, beginnt ihren Spot mit einer Großaufnahme der Erde. Zu dramatischer Musik erinnert sie an das UNO-Protokoll von Rio, den Rekordsommer 2003 und die verschiedenen Unwetter in den vergangen Jahren, um dann den moralischen Zeigefinger zu heben: "Was sagen Sie, wenn ihr Kind in 15 Jahren fragt: Du wusstest es? Und du hast nichts getan?" Die Grüne ist die einzige, deren Spot in Gebärdensprache überstetzt ist. Sie bedauert, dass sich die großen Kandidaten trotz ihrer Unterschrift unter den pacte écologique von Nicolas Hulot (siehe Artikel 1. April) nicht wirklich für die Umwelt interessierten und stellt klar: "Man wird keine ökologische Politik ohne die Ökologen betreiben."
Mit seinem neuesten Unterstützer präsentiert sich José Bové. Der Fernsehmoderator Karl Zéro stellt dem Altermondialisten knappe Fragen, die Bové in seinem Büro oder spazierend beantwortet. Mehrere Bosé-Wähler erklären, was sie an ihrem Favoriten schätzen. Der Spot endet mit dem Wortspiel "Osez Bové" (Wagen Sie Bové).
Auch die Gattung "klassisch und schlicht" mit dem Video als reiner Ansprache kommt nicht zu kurz. Arlette Laguiller, Kandidatin der trotskistischen Lutte ouvrière, adressiert sich vor dem Hintergrund einer Privat-Bibliothek an die "Arbeiterinnen und Arbeiter".
Jean-Marie Le Pen von der Front national verkündet, vor einem Bluescreen an einem Schreibtisch sitzend und an einen Nachrichtensprecher erinnernd, dass "die offiziellen Statistiken gefälscht" seien, wie etwa die Arbeitslosenzahlen. Im Gegensatz zu den anderen Präsidentschaftsanwärtern sei er der "Kandidat der Wahrheit".
Philippe de Villiers, der Präsident des Mouvement pour la France, verurteilt gut gebräunt Kommunitarismus, Polygamie und Sonderregelungen für Muslime, wie etwa besondere Menüs in Kantinen und Frauentage in Schwimmbädern.
Der schon mehrfach an- und wieder abgesagte Besuch Sarkozys im nördlichen Pariser Banlieue Argenteuil findet eventuell doch noch vor der Präsidentschaftswahl statt. Die symbolische Rückkehr an den Ort, an dem Sarkozy im November 2005 von "Kärcher" und "Gesindel" sprach, war quasi schon abgesagt worden, weil man durch Demonstrationen unvorteilhafte Bilder in den Medien fürchtete.
Sarkozys gestriger Zwischenstopp in Villepinte, einem Banlieue nördlich von Paris, wurde als erstes Abtasten des Terrains gewertet. Offiziel von der dortigen UMP-Bürgermeisterin eingeladen, um an einer Einbürgerungszeremonie teilzunehmen, wurde der Auftritt unweigerlich zu einem mittelgroßen Medienereignis.
Laut Gerüchten sei der kommende Freitag ein möglicher Zeitpunkt für einen Besuch Sarkozys in Argenteuil. Denn auch wenn der Kandidat der UMP seine 209 Besuche in der Banlieue während seiner Zeit als Innenminister betont, die Kritik aus dem PS-Lager, wonach die Unmöglichkeit seines Besuches in Argenteuil zeige, wie sehr Sarkozy spalte und deshalb nicht Präsident aller Franzosen sein könne, dürfte den aktuellen Favoriten der Wahl doch wurmen.
Etwas Humor hat eine Gruppe Jugendlicher in den ohnehin schon facettenreichen Wahlkampf gebracht. In Anspielung auf einen Ausspruch von Nicolas Sarkozy hat die Gruppe mit dem Namen "die Frühaufsteher Frankreichs" am Dienstagmorgen im 17. Pariser Arrondissement mächtig Lärm gemacht. Den "Frühaufstehern" stellt Sarkozy in seinen Reden unausgesprochen "freiwillige" Arbeitslose und Sozialhilfe-Schmarotzer gegenüber.
Die originellen Aktivisten haben sich zum Ziel gesetzt "ein Land aufwecken, dass sich langsam aber sicher auf fünf Jahre Sarkozysmus zubewegt."
Der gewöhnlich gut informierte Canard Enchaîné titelt heute Morgen: "Sarkozy hat Chirac eine faktische Amnestie versprochen". Im Gegenzug für Jacques Chiracs öffentliche Unterstützung für Sarkozys Kandidatur soll letzterer, falls er zum Präsident der Republik gewählt wird, ein Gesetz durchbringen, das mehr als zehn Jahre alte Delikte als verjährt erklärt. Unter dem Deckmantel von Sarkozys Projekt der Senkung der Strafmündigkeit soll ein entsprechender Passus von einer eventuellen Präsidentenmehrheit in der Nationalversammlung beschlossen werden.
Damit könnte Chirac seinen Ruhestand auch wirklich in Ruhe angehen. Denn in mindestens drei Fällen warten die Justizbehörden nur auf das Ende von Chiracs Mandat und damit seiner Immunität. Sowohl unter Chiracs Vorsitz der Partei RPR als auch während seiner Zeit als Bürgermeister von Paris (1977 - 1995) tauchten in Bilanzen fiktive Angestellte auf, die für zusätzliche Geldflüsse sorgten. In einer anderen Affäre geht es um gefälschte Rechnungen.
In seiner Ausgabe vom 16. März lässt der Figaro mit folgender Passage aufhorchen: "Die Affäre der fiktiven Angestellten der Stadt Paris und eine eventuelle Verwicklung Jacques Chiracs ist eines der Themen, über die Nicolas Sarkozy regelmäßig mit dem Staatschef bei seinen Treffen Montagmorgens spricht." Wohl nicht ganz zu Unrecht meint der Canard süffisant, dass der UMP-nahe Figaro offensichtlich gute Quellen habe.
Überhaupt mag die Annäherung zwischen Chirac und Sarkozy erstaunen, schließlich sieht sich der Kandidat selbst als Mann der Zäsur, des Neuanfangs. In diesem Kontext bietet sich eine Allianz mit Chirac nun wirklich nicht an. Wie kein Zweiter hat Chirac die letzten 30 Jahre die französische Politik dominiert, und das in den wichtigsten Ämtern der Nation. Die Bilanz lautet: zweifacher Premierminister, 18 Jahre lang Bürgermeister von Paris, 12 Jahre Präsident der Republik. Vielleicht ist Sarkozys Werben um Chiracs Unterstützung auf der Zielgeraden vor dem 22. April noch ein Versuch, mit einem Image als ruhigerer, besonnenerer Politiker ins Ziel einzulaufen. Ein Bild, das Chirac bestens verkörpert.
Schon mehrfach hatte Sarkozy versucht, seinen vielzitierten Satz "Ich habe mich verändert" zu untermauern, um dann doch wieder allzu leicht in die Rolle als unberechenbarer Wüterich und Provokateur zurückzufallen. So auch wieder letzte Woche. In einem Interview mit einem Philosophie-Magazin meinte Sarkozy, dass man pädophiles Verhalten und die jährlich 1300 Selbstmorde von Jugendlichen in Frankreich mit genetischer Veranlagung erklären könne. Von diesem Determinismus schließt sich Sarkozy selbst nicht aus: "Ich bin hetereosexuel geboren."
Die Tageszeitung Le Parisien hat heute eine Umfrage veröffentlicht, nach der für die Franzosen der Ausgang der kommenden Wahl schon feststeht: 59 Prozent gehen davon aus, dass Nicolas Sarkozy ihr nächster Präsident wird. 18 Prozent denken, demnächst von Ségolène Royal regiert zu werden; neun Prozent rechnen mit François Bayrou, ein Prozent mit Jean-Marie Le Pen als Präsident. Gleichzeitig ist die Zahl der Unentschiedenen knapp zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang enorm: 42 Prozent haben sich noch nicht auf einen Kandidaten festgelegt.
Am heutigen Montag um Mitternacht hat die offizielle Wahlkampfphase begonnen, die bis zum 20. April um 0.00 Uhr, dem Freitag vor dem sonntäglichen Urnengang, dauert. Während dieser Periode ist die Gleichheit der Bedingungen für die zwölf Kandidaten oberstes Gebot:
Jeder Kandidat hat genau 45 Minuten Sendezeit, auf den zahlreichen öffentlichen Radio- und Fernsehsendern, aufgeteilt in Spots von einer, zweieinhalb und fünf Minuten Länge; vor den 85000 Wahlbüros hängen in der vom Verfassungsgericht ausgelosten Reihenfolge die offiziellen Wahlplakate der Kandidaten. Die Reihenfolge der Fernsehspots wurde von der nationalen Medienanstalt CSA (Conseil supérieur de l'audivisuel) ebenfalls ausgelost. Den Anfang machte heute Morgen um 6 Uhr 25 José Bové auf dem Sender France 5.
Die Phase der offiziellen Kampagne und die damit verbundenen Regeln wurden 1965 eingeführt, als der Präsident der Fünften Republik das erste Mal direkt von den Franzosen gewählt wurde. Die Produktion und Ausstrahlung der Wahlkampfspots war damals noch alleinige Sache der staatlichen Medienanstalt ORTF. Erst 1988 durften die Kandidaten ihre Clips wenigstens teilweise außerhalb der Studios der Öffentlich-Rechtlichen drehen. Mit der Wahl 2002 war ihnen schließlich auch der Einsatz eines eigenen Regisseurs freigestellt.
Zwischen dem Ende der offiziellen Kampagne und dem Wahltag am 22. April um 20 Uhr ist jeglicher Form von Wahlkampf und die Veröffentlichung von Wahlumfragen verboten.
Glaubt man einer heute veröffentlichten Umfrage des Instituts Ipsos, wird die Präsidentschaftswahl immer mehr zu einer klaren Angelegenheit für Nicolas Sarkozy. Im Vergleich zur letzten Umfrage des Instituts vor zwei Wochen erhält der UMP-Kandidat plus 3,5 Prozent (insgesamt 29,5), während Ségolène Royal (22) und François Bayrou (19) jeweils um drei Prozent abnehmen. Im zweiten Wahlgang würden folglich Royal und Sarkozy aufeinander treffen. Gewann Sarkzoy dieses Duell vor zwei Wochen noch mit 52 zu 48 Prozent, bekommt er heute 54 Prozent zugeschrieben. Die Werte der Kandidaten im Einzelnen:
Oliver Besancenot: 4,5%
Marie-Georges Buffet: 2,5%
Gérard Schivardi: 0,5%
Francois Bayrou: 19,%
José Bové: 2,0%
Dominique Voynet: 1,5%
Philippe De Villiers: 1,0%
Ségolène Royal: 22,0%
Frédéric Nihous: 1,5%
Jean-Marie Le Pen: 14,0%
Arlette Laguiller: 2,0%
Nicolas Sarkozy: 29,5%
Vergangenen Donnerstag hat Azouz Begag, 2005 zum ministre délégué zur "Förderung der Chancengleichheit" ernannt, die Regierung von Premier de Villepin verlassen. Der Wirtschaftsprofessor und Schriftsteller mit algerischen Wurzeln "möchte sich wieder komplett frei äußern" können.
Das hat einen ganz praktischen Grund: Nächsten Mittwoch erscheint sein Buch "Ein Schaf in der Badewanne", das Begags zweijährige Regierungszeit schildert. Der Titel ist eine Anspielung auf ein Zitat Nicolas Sarkozys, der in Bezug auf das Schächten gemeint hatte, er möchte keine Republik, in der "Schafen in der Badewanne die Kehle durchgeschnitten wird".
Das Magazin Marianne hat vorab Auszüge veröffentlicht, die Begags schwierige Beziehung mit Ex-Innenminister Sarkozy beleuchten. Die Spannungen zwischen den Kollegen begannen während den Unruhen in den Banlieues im November 2005. Begag hatte öffentlich Sarkozys "kriegerische Semantik" und die Benutzung des Wortes "Pack" kritisiert.
Selbst der Sarkozy-freundliche Figaro zitierte den UMP-Kandidaten aus einer internen Sitzung mit "man müsste Begag mal beibringen das Maul zu halten". In einem Telefonat soll Sarkozy zu "Villepins Araber vom Dienst", wie Begag von Sarkozy-Vertrauten angeblich genannt wurde, gesagt haben: "Du bist ein Blödmann, ein illoyaler Saukerl. Ich werde dir das Maul stopfen."
Auf Begag, der seit Wochen die Kandidatur von François Bayrou unterstützt, soll Druck ausgeübt worden sein, damit das Buch erst nach der Präsidentschaftswahl erscheint.
Ende vergangener Woche angekündigt, stößt der contrat première chance (CPC) von Ségolène Royal auf immer breitere Kritik. Mit dem CPC sollen Unternehmen mit weniger als zehn Angestellten ein Jahr lang Jugendliche einstellen, die quasi vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Die Gesamtkosten, etwa 1000 Euro monatlich, sollen die Regionen tragen.
Royals Umfeld hatte mit dem CPC in der Endphase des Wahlkampfs eine unkonventionelle Maßnahme aus dem Hut zaubern wollen, doch ist eher das Gegenteil eingetreten. Die in der Tat unglückliche Namensgebung erinnert sehr an den CPE, gegen den letztes Frühjahr Millionen Franzosen demonstriert hatten.
Die Initiatorin des CPC, die Soziologin Dominique Méda, hatte Ende der Woche den Auftrag, zu retten was noch zu retten ist. Der CPC "ist kein linker CPE", überhaupt sei es viel angebrachter, "statt von einem Vertrag von einer Abmachung" zu reden. Jedes in Frage kommende Unternehmen solle nur einen Jugendlichen per CPC anstellen können. 60 Prozent der Arbeitszeit solle der Jugendliche im Betrieb verbringen, die restliche Zeit mit einem Tutor. Nach einem Jahr soll der Jugendliche dann eine klassische Ausbildung anhängen können. Kündigt der Arbeitgeber vor Ablauf des ersten Jahres, müsse er alle erhaltenen Finanzhilfen zurückerstatten. Was passiert, wenn er nach dem ersten Jahr kündigt, wusste Méda nicht zu beantworten.
Auch über die geplante Zahl an CPCs gibt es unterschiedliche Angaben: Méda rechnet mit 80000, Royal redete von 190000 Plätzen. Die UMP wirft der PS deshalb widersprüchliche Angaben über das Projekt vor. François Bayrou kritisiert die massiven Ausgaben, Olivier Besancenot zieht Vergleiche zum CPE.
Der UMP-Abgeordnete Jérome Rivière, Präsident des Unterstützerkomitees von Philippe de Villiers vom MPF (siehe Portrait weiter unten), spricht sich für eine Zusammenarbeit mit der Front national von Jean-Marie Le Pen aus. In einem gestern veröffentlichten Interview der wöchentlich erscheinenden Zeitung Minute erklärt Rivière, dass die "Rechte in dieser für ihre Zukunft entscheidenden Phase die Pflicht hat, alle ihre Kräfte und Vertreter zu vereinen um das Land nicht der Linken zu überlassen".
Minute, ein rechtsextremes Blatt mit einer Auflage von 40000 Exemplaren, das sich als satirisch und souveränistisch versteht, zitiert Rivière weiter mit den Worten: "Die Mauer, die man um die Front national errichtet hat und die sechs Millionen Franzosen isoliert, muss fallen, nicht nur damit sie [die sechs Millionen Wähler] in der Nationalversammlung vertreten sind, sondern damit wir zusammen arbeiten können."
In der Tat ist es problematisch, dass die französische Demokratie, die sich auch über ihre Parteienvielfalt definiert, durch ihr Wahlsystem eine Gruppierung ausschließt, die durchweg eine locker zweistellige Prozentzahl der abgegebenen Stimmen bekommt. Vielleicht sollte Rivière aber auch angesichts seiner eindeutigen Positionen überlegen, ob er nicht der falschen Partei angehört, zumal ihm Sarkozys gelegentliches Werben um Le Pens Wählerschaft scheinbar nicht weit genug geht.
Es mag vielleicht etwas erstaunen, dass auf diesem Blog bisher kein Beitrag mit aktuellen Umfragewerten der Kandidaten erschienen ist. Schließlich sind vor einer Wahl Meinungsbilder das Salz in der Suppe, sie sind Grundlage von Hypothesen und lassen Rückschlüsse zumindest auf bestimmte Tendenzen zu.
Bei der Vielfalt der täglich von mehreren Instituten veröffentlichten Werte waren zuletzt jedoch oft nicht einmal Tendenzen auszumachen. Zwei zeitgleich veröffentlichte Umfragen gaben so Sarkozy 28 bzw. 31 Prozent, Royal 27/24,5 und Bayrou 20/18. Richtig deutlich wurden die Unterschiede aber erst bei einem zweiten Wahlgang Sarkozy/Royal: In der erstgenannten Umfrage bekam Sarkozy 51 Prozent bei einem Rückgang von 3 Punkten im Vergleich zur letzten Studie, in der zweiten Umfrage lag er bei 53,5 Prozent bei einer Zunahme von 0,5 Punkten. (Royal bekam folglich 49 bzw. 46,5 Prozent.)
Ein weiteres Kuriosum ist seit einigen Wochen folgendes Phänomen: In ein und derselben Studie ist François Bayrou drittstärkster Kandidat, bei einer hypothetischen zweiten Runde gegen Sarkozy und Royal würde er jedoch beide Kandidaten schlagen. So auch wieder im heutigen Meinungsbild des Instituts Ipsos:
Olivier Besancenot: 3,5%
Marie-George Buffet: 2,5%
Gérard Schivardi: 0,5%
François Bayrou: 18,5%
José Bové: 1,0%
Dominique Voynet: 1,5%
Philippe de Villiers: 1,0%
Ségolène Royal: 25,0%
Frédéric Nihous: 1,0%
Jean-Marie Le Pen: 13,0%
Arlette Laguiller: 1,0%
Nicolas Sarkozy: 31,5%
Trotz seiner 18,5 Prozent im ersten Wahlgang würde Bayrou ein Duell mit Sarkozy im zweiten Wahlgang mit 51 Prozent gewinnen. Gleichzeitig muss man noch anmerken, dass nur 63 Prozent der Befragten ihre aktuelle Wahlabsicht als definitv betrachten. 13 Prozent der Befragten geben an, zwar wählen zu gehen, sich aber nicht zu der Frage äußern zu wollen.
Und traditionell sind die reellen Werte der extremistischen Kandidaten etwas höher, als es die Umfragen widerspiegeln. Vor allem Le-Pen-Wähler scheinen ungern ihre Präferenz zuzugeben, weshalb jedes Umfrageinstitut seine Erfahrungswerte hat, um die erfragten Werte dem reell vermuteten Wahlverhalten anzugleichen. Diese Anpassungen sind aber das Betriebsgeheimnis der Institute, schließlich denkt jeder, die genaueste Methode zu haben.
Unumstritten ist jedoch, dass man den bisherigen Verlauf des Wahlkampfes gemäß der Popularität der drei großen Kandidaten in ebenso viele Phasen einteilen kann: Ende vergangenen Jahres hatte Royal durch die geschickt inszenierte interne Kandidatensuche der Parti socialiste die Nase vorne. Mit seiner offiziellen Investitur am 14. Januar hat Sarkozy die Spitzenposition übernommen und seitdem nicht mehr abgegeben. Trotzdem kann man noch von einer dritten Phase sprechen: Der stetige Aufstieg Bayrous seit Anfang des Jahres bis zu seinem Hoch Mitte März, als er mit Royal auf Augenhöhe lag.
In einer Umfrage zur Zufriedenheit mit der Arbeit französischer Politiker bekam Bayrou gar mit 61 Prozent den höchsten Wert. Rückblickend muss man aber wohl den Stimmen zupflichten, die ihm vorraussagten, die Grenze des Möglichen erreicht zu haben. Von ungefähr 24 Prozent Mitte März ist der Zentrist wieder auf unter 20 Prozent gefallen.
Zu Besuch auf dem französischem Überseegebiet Martinique hat François Bayrou gestern mit einem originellen Vorschlag aufhorchen lassen. Der Kandidat der Zentristen sprach sich für die Abschaffung der École Nationale d'Administration (ENA) aus. Die im sechsten Pariser Arrondissement gelegene Eliteschule ist Teil des für einen Deutschen ungewöhnlichen französischen Hochschulsystems.
Neben den regulären Universitäten gibt es die sogenannten grandes écoles, die auf hohe Posten in der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft vorbereiten. Dazu gehören die Institute für Politikstudien (Sciences Po beziehungsweise IEP), die durch die Bandbreite der unterrichteten Fächer kaum Gemeinsamkeiten mit der deutschen Politikwissenschaft haben, oder aber die École polytechnique, die hochqualifizierte Ingenieure hervorbringt.
Die angesehensten grandes écoles befinden sich in Paris, was einmal mehr den Unterschied zwischen Hauptstadt und province hervorhebt. Auf dieses dem Zentralismus zuzuschreibende Gefälle stützt sich ein fast natürliches Misstrauen der "Provinzler" gegenüber der Pariser Elite. Eine in Volkes Seele verankerte Ablehnung, die auch Bayrou für sich beansprucht. Der Kandidat legt großen Wert auf seine bäuerlichen Wurzeln und betont, dass er "nicht zum Pariser Establishment" gehört.
Insofern erscheint es konsequent, die ENA, das Sinnbild der realitätsfremden Politikerklasse, einfach abzuschaffen. In der Tat haben viele aktuelle Spitzenpolitiker zuerst Scienes Po Paris und anschließend die ENA durchlaufen, wie etwa die beiden Köpfe der Exekutive, Dominique de Villepin und Jacques Chirac, oder auch der PS-Chef François Hollande. Von den aktuellen Kandidaten zur Präsidentschaftswahl ist nur Royal énarque.
So revolutionär wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist Bayrous Vorschlag aber nicht: Die ENA soll durch eine "Schule für den öffentlichen Dienst" ersetzt werden. Wegen ihrer sehr hohen Allgemeinbildung und Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten sind die ENA-Absolventen immer mehr in der privaten Wirtschaft gefragt. Die Abgänger von Bayrous école du service public sollen dazu verpflichtet werden, auch wirklich dem Staat zu dienen.
Bayrous Vorhaben spiegelt somit eher eine konservative Auffassung der Verwaltung eines Staates wider. Statt wie in den skandinavischen Ländern weite Teile der Verwaltung zu privatisieren und nach Wirtschaftsmaßstäben zu organisieren, rückt bei Bayrou der lebenslange Staatsbedienstete in den Mittelpunkt.
Womit wir wieder beim Hauptkritikpunkt der öffentlichen Meinung wären: Der dauerhaften Besetzung der höchsten Ämter durch einige wenige Personen. Männer wie Chirac bekleiden seit gut 30 Jahren die höchsten Staatsämter, Jean-Marie Le Pen und Arlette Laguiller haben schon bei der Präsidentschaftswahl 1974 kandidiert.